IN_Cultures
Jugendkulturelle Inklusion von jungen Menschen (mit und ohne Handicap)
In jugendkulturellen Aktivitäten lernen junge Menschen Spaß an ihrem eigenen Können, stärken ihr Selbstbewusstsein und werden in ihren bestehenden Interessen befördert. In gemischten Gruppen lernen sie ein soziales Miteinander. Über Jugendkulturen können Kinder und Jugendliche außerdem neue Rollen im Sozialraum einnehmen und aktiv am sozialen Leben teilhaben. Inklusion verstehen wir dabei nicht nur als die Beseitigung von spezifischen Barrieren für Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung und Menschen mit Lernschwierigkeiten. Wir beziehen uns vielmehr auf das Ideal einer inklusiven Gesellschaft, in der alle sozialen Barrieren überwunden werden können, unabhängig davon, ob sie mit gesellschaftlich gesetzten Bedingungen aufgrund des Geschlechts, der Familiengeschichte (bspw. Migrationsgeschichte), der Klassenverhältnisse oder einer Behinderung verknüpft sind. Übertragen auf unsere konkreten Arbeitsfelder bedeutet dies zunächst einmal, Räume zu kreieren, in denen verschiedene Perspektiven, Bedürfnisse und Interessen möglichst frei zum Ausdruck gebracht werden können. Anschließend werden die zum Vorschein kommenden Übereinstimmungen und Widersprüche in inklusiven, jugendkulturellen Gruppenaktivitäten spielerisch verarbeitet. So wird ein Erfahrungslernen initiiert, in dem sich die Beteiligten wechselseitig bestärken und weiterentwickeln. Wir verstehen Inklusion als einen Prozess.
Jugendkulturelles Lernen erweitern
In diesem Sinne haben wir uns zwischen April 2014 und März 2017 im Rahmen des Projekts „IN_Cultures“ der Frage gewidmet, wie jugendkulturelles Lernen weitergehend für die Bedürfnisse von jungen Menschen mit Beeinträchtigung geöffnet werden kann. In einem ersten Schritt stellten wir die von cultures interactive e. V. entwickelten Methoden und Workshopformate auf den Prüfstand und verwoben sie mit gelungenen Konzepten der Inklusion. Ab November 2014 wurden die so entstandenen inklusiven Methoden, Workshopformate und Curricula in die Praxis überführt. Durchgeführt wurden insgesamt sechs Impulsprojekttage in den Jugendclubs Statthaus Böcklerpark in Berlin-Kreuzberg und im Jugendhaus Königstadt in Berlin-Pankow. An diesen Projekttagen nahmen jeweils bis zu 60 Jugendliche in vier Workshops teil. In beiden Sozialräumen schloss sich eine 14-tägige Peer-Ausbildung an, deren Höhepunkte jeweils fünftägige Reisen nach Weimar (2015) und nach Potsdam (2016) waren.
30 Jugendliche mit und ohne Behinderung setzten sich während der Peer-Ausbildung intensiv mit der Theorie und Praxis verschiedener Jugendkulturen auseinander. Unter anderem entwickelten sie eine Breakdance-Show, in die sie unterschiedliche musikalische Einflüsse einbrachten, von syrischem Pop bis zu deutscher Rap-Musik. Die gemeinsam verbrachte Zeit wurde jeweils in einem selbstproduzierten Videos dokumentiert. Die Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 23 Jahren, die an den verschiedenen IN_Cultures-Maßnahmen teilnahmen, leben zu einem großen Teil in den Sozialräumen rund um die beiden Jugendclubs. Teilweise kamen sie auch aus den umliegenden Vierteln oder aus anderen Stadtteilen Berlins. Die Teilnehmenden besuchen verschiedene Schulformen: Gemeinschaftsschulen, Förderschulen und Gymnasien. Nicht wenige von ihnen waren Schüler*innen in Willkommensklassen.
Nicht nur die teilnehmenden Jugendlichen sammelten in diesem Modellprojekt zahlreiche Erfahrungen, auch das IN_Cultures-Team kann auf eine überaus erkenntnisreiche Zeit zurückblicken. Gemessen an den ursprünglichen Zielsetzungen brachte IN_Cultures sowohl die Grenzen, vor allem aber die Möglichkeiten einer inklusiven Jugendkulturarbeit zum Vorschein. Die Grenzen decken sich in erster Linie mit dem beschränkten Zeitrahmen eines (Modell-)Projektes. Auch wenn es vergleichsweise viel Projektzeit war, die uns für unsere Maßnahmen zur Verfügung stand, so kann die nachhaltige Entwicklung von inklusiven Peer-Groups, von Freundeskreisen Gleichaltriger mit und ohne Beeinträchtigung, doch wohl sehr viel eher im Rahmen von Aktivitäten ermöglicht werden, die langfristig in den Alltag, und in Regelstrukturen eingebettet sind.
Raum für verschiedene Bedürfnisse ermöglichen
Dass jedoch auch in einem solchen Rahmen nachhaltig wirkende inklusive Prozesse angestoßen werden können, die wunderbare Situationen und spannende Gruppendynamiken hervorbringen, dies konnten wir immer wieder feststellen. Hierfür war zunächst eine Ergebnisoffenheit der Workshops essenziell, nach dem Motto: „alles kann, nichts muss“. Den Jugendlichen ausreichend Raum für ihre verschiedenen Bedürfnisse zu überlassen ist nach unserer Erfahrung eine wesentliche Voraussetzung, damit sie sich später umso offener den als „anders“ empfundenen Teilnehmenden zuwenden und mit ihnen gemeinsame Interessen und Perspektiven entdecken. Das Setting einer Reise mit einem gemeinsam abgestimmten Tagesverlauf und zahlreichen spontanen Gesprächen und kleinen Momenten war zudem maßgeblich für die Gruppenbildung zwischen den sehr diversen Teilnehmen-den. Im Zuge dessen entdeckten die beteiligten Jugendlichen gemeinsame Perspektiven in Jugendkulturen. Einige von ihnen werden zukünftig als Peer-Leader der Inklusion in ihrem sozialen Umfeld wirken.
Um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Teilnehmenden gerecht werden zu können, wurden einige der IN_Cultures-Workshops schließlich doch eher ergebnisorientiert angeboten. Hier konnten sich die ambitionierteren Jugendlichen einbringen und entfalten, gleichzeitig wurden andere Workshops eher freier gerahmt. Hier fanden sich die Teilnehmenden ein, die aus verschiedensten Grün-den nicht fokussiert arbeiten wollten, oder konnten (Konzentrationsfähigkeit, Tagesform etc.). In beiden Gruppen brachten sich Jugendliche mit und ohne Beeinträchtigung ein. Zwischendurch fand die Gesamtgruppe immer wieder zusammen, manchmal, um Pause zu machen und sich auszutauschen oder um mit weiteren Aktivitäten in einer anderen Gruppenkonstellation zu beginnen.
Deutlich wurde dabei, dass ein fester Lernplan, ein Curriculum, in der Arbeit mit inklusiven Gruppen für uns nicht zielführend ist. Die Bedürfnisse der Teilnehmenden sind zu vielschichtig, die Anforderungen können zu schnell wechseln. Das gemeinsame Ziel kommt erst im Gruppenprozess zum Vorschein, dessen Verlauf dementsprechend im Vorfeld nicht festgelegt werden kann. Die wesentlichen pädagogischen Instrumente, die uns zur Verfügung standen, waren die inklusiven Methoden, die in ihrer Mehrzahl im Vorfeld von dem IN_Cultures-Team entwickelt wurden. Die in unserer Wahrnehmung wirkungsvollsten dieser IN_Cultures-Methoden stellen wir in dieser Handreichung vor. Mit ihrer Hilfe wurden Warm Up-, Kennenlern-, Teambildungs- und Peer-Learning-Prozesse innerhalb der inklusiven Gruppe initiiert. Sie wurden durch das Team flexibel, oftmals spontan, entsprechend der Erfordernisse der jeweiligen Gruppensituation zum Einsatz gebracht.
Diese Handreichung kann dementsprechend als ein Werkzeugkasten der inklusiven Jugendkulturarbeit verstanden werden.
Vorhabenbeschreibung
Wie gestalte ich inklusive Angebote für die offene Jugendarbeit? Wie kann man jugendkulturelles Lernen an die Bedürfnisse von jungen Menschen mit Handicap anpassen? Das sind wichtige Fragen, denen man sich widmen muss, um die Idee einer inklusiven Gesellschaft zu verwirklichen. Während die Debatte zur schulischen Inklusion einen breiten Raum in der öffentlichen Diskussion einnimmt, wird der Freizeitbereich kaum in den Blick genommen. Für das Leben von Jugendlichen spielt jedoch nicht nur die Schule, sondern ebenso die Freizeit eine wichtige Rolle und es existiert unzweifelhaft eine enge Wechselwirkung zwischen schulischen und außerschulischen Prozessen. Gelingt die Inklusion außerhalb der Schule, so hat dies eine stabilisierende Wirkung auf den gesamten Inklusionsprozess.
In jugendkulturellen Aktivitäten wie Djing, Radioproduktion, Rap, Breakdance oder Parcour lernen junge Menschen Spaß an ihrem eigenen Können, stärken ihr Selbstbewusstsein und werden in ihren bestehenden Interessen befördert. In gemischten Gruppen lernen sie ein soziales Miteinander. Über Jugendkulturen können Kinder und Jugendliche neue Rollen im Sozialraum einnehmen und aktiv am sozialen Leben teilhaben. Dabei gilt es körperliche, mentale und soziale Barrieren, die den Zugang zu Jugendfreizeitangeboten erschweren, abzubauen und attraktive inklusive Jugendkulturangebote zu schaffen. In Zusammenarbeit mit den Berliner Bezirken Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg möchten wir hierzu ein zielgruppengerechtes Modell entwickeln und damit einen Beitrag im Rahmen der „Europäischen Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderung“ leisten.
Ziel
Das primäre Ziel von IN_Cultures war es, Angebote für und mit Jugendlichen mit Handicap zu entwickeln. Miteinander verbunden werden sollten die Erfahrung einer Selbstwirksamkeit mit der Stärkung eines respektvollen und offenen Umgangs in gemischten Gruppen, Anerkennung von Verschiedenheit sowie praktisches Lernen.
Zielgruppe
Das Projekt richtete sich an Menschen im Alter zwischen 14 - 27 Jahren mit und ohne Handicap. „Handicap“ meint in diesem Zusammenhang die Konfrontation mit einer benachteiligenden Lebenssituationen, eine eingeschränkte Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe aufgrund körperlicher, psychischer und/oder sozialer Beeinträchtigungen.
Projektlaufzeit
April 2014 bis März 2017