Zivilgesellschaftliche Distanzierungs- und Ausstiegsarbeit darf kein verlängerter Arm der Sicherheitsbehörden sein

In modernen Demokratien erbringen Distanzierungs- und Ausstiegshelfer*innen eine eminent wichtige und unverzichtbare Leistung. Hierbei ist die Beziehung zwischen den zivilgesellschaftlich verankerten Praktizierenden und den staatlichen Sicherheitsbehörden von besonders großer Bedeutung. Diese zentrale, bereichsübergreifende Arbeitsbeziehung muss vertrauensvoll und kooperativ, aber auch klar abgegrenzt sein. Außerdem und sie muss sie – in ihrer Abgegrenztheit – gut in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Denn rechtstaatlich verfasste Demokratien beruhen auf Gewaltenteilung und Aufgabentrennung. Deshalb gilt stets: Wenn wir gemeinsam Ausstiegsarbeit ermöglichen, tun wir gleichzeitig immer auch weit mehr als das: Wir „praktizieren Gesellschaft und Staat“ im Kleinen, und zwar im Zeichen von Demokratie und Rechtssicherheit – die unsere allerhöchsten Verfassungsgüter darstellen.

Jede übereilte Verschaltung von sozialer Arbeit und Sicherheitsagenturen aber tut dem Abbruch. Deshalb muss die personen- und klient*innen-bezogene Kommunikation zwischen Sicherheitsdiensten und Ausstiegshelfer*innen mit dem Vorschlag einer Person seitens der Sicherheitsdienste enden. Nur im genau begründeten Fall einer akuten Fremd- und Selbstgefährdung – wenn also „Gefahr in Verzug“ ist – wird, in maximal möglicher Transparenz gegenüber dem/der Klient*in, eine Meldung an die Sicherheitskräfte erfolgen; wie uns dies ja bereits als allgemeine Bürger*innen-Pflicht obliegt. Die Befunde des laufenden EXIT Europe Projekts bestätigen dies ausdrücklich.

Wenn schon direkte Austauschverbindungen der Ausstiegsarbeit zu anderen staatlichen Funktionen bestehen sollen, dann solche, die die Arbeit der Distanzierungs- und Ausstiegshelfer*innen unterstützen und absichern – und sie nicht aber gefährden: zum Beispiel eine Verbindung zu psychotherapeutischen und psychiatrischen Diensten und zu weiteren Hilfesystemen, gegebenenfalls auch zu forensischer Expertise für eine genauere psychiatrisch-forensische Abklärung. Sich demgegenüber in eine „Versicherheitlichung“ von sozialer Arbeit und Ausstiegshilfe zu verstricken und – öffentlich – „Bauchgefühlsmeldungen“ an die Behörden in Aussicht zu stellen, hieße, die Vertrauenswürdigkeit von Ausstiegsarbeit als ganzer zu zerstören. Denn welcher junge Mensch würde sich da noch in eine Ausstiegshilfe begeben wollen?
Nicht jedoch eine Schädigung der Ausstiegsarbeit sollte unser Ziel sein, sondern die Verbesserung ihrer Ausstattung und Stabilität, auch durch eine unzweideutige gesellschaftliche und politische Unterstützung – beispielsweise  durch ein einvernehmlich beschlossenes Demokratiefördergesetz.

Aus analogen Gründen ist neuerlich das Zeugnisverweigerungsrecht für Distanzierungs- und Ausstiegshelfer*innen zu fordern, das in ähnlicher Weise schon vor 30 Jahren aus gutem Grund in die Debatte eingebracht wurde.

Lesen Sie dazu auch einen Leserbrief von Harald Weilnböck, wissenschaftlicher Leiter von cultures interactive, an den Berliner Tagesspiegel.

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