Rechtsextremismusprävention verstetigen – Zivilgesellschaft stärken

Positionspapier des Kompetenznetzwerks Rechtsextremismusprävention

Die Bundesregierung hat angekündigt, noch im Frühjahr einen Aktionsplan Rechtsextremismus vorzulegen. Doch auch die Zivilgesellschaft hat hierbei ein Wörtchen mitzureden. Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention, dem auch cultures interactive e.V. angehört, hat deshalb eigene Vorschläge in einem Positionspapier gesammelt.

Von Rechtsextremismus geht nach wie vor die größte Gefahr für die Demokratie aus. Das zeigen nicht nur die rechtsterroristischen Anschläge der letzten Jahre besonders schmerzhaft, sondern verdeutlichen darüber hinaus auch die Statistiken: So wurde im Jahr 2020 jedes zweite politisch motivierte Delikt als rechtsmotivierte Straftat eingeordnet. Auch bei den registrierten Fällen von Hasskriminalität werden neun von zehn Delikten als rechtsmotiviert bewertet (BMI 2021). Zudem lagen Ende September 2021 insgesamt 596 offene Haftbefehle gegen Personen aufgrund rechtsmotivierter Straftaten vor (BT-Drucks. 20/322: 2). Von einer Zunahme an Bedrohungen, Beleidigungen und Angriffen aus dem rechten Spektrum berichten auch Journalist*innen und weibliche Kommunalpolitiker*innen. Laut einer Umfrage der forsa/Körber-Stiftung aus dem Jahr 2020 berichteten 25 Prozent der Betroffenen außerdem von Anfeindungen und Bedrohungen gegen ihre Familien und Freund*innen (DSTGB 2021).

Eine extreme Rechte gibt es in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung. Die Geschichte der extremen Rechten ist dabei gleichzeitig von Kontinuität und Wandel geprägt: Bis etwa 2011, dem Jahr der Selbstenttarnung des NSU, dominierte ein subkulturell orientierter Neonazismus. In den letzten Jahren zeigte sich jedoch, dass sich auch Rechtspopulismus und die „Neue Rechte“ auf Zustimmung von großen Teilen der Gesellschaft stützen können. Sichtbarer wurde dies insbesondere ab 2014 durch die erfolgreich rassistisch motivierte Mobilisierung gegen Geflüchtete: mit der “Nein zum Heim” Bewegung, PEGIDA und ähnlichen teilweise später rechtsterroristisch agierenden Gruppierungen wie der “Gruppe Freital”. Im Zuge dessen konnte sich mit der AfD eine Partei flächendeckend etablieren, in der offen rechtsextremes Gedankengut sehr präsent ist und die sich im Laufe der Jahre immer stärker radikalisierte. Trotz Bemühungen, sich stilistisch vom Neonazismus abzusetzen, blieben klare ideologische Gemeinsamkeiten. Umfangreiche Aktivitäten in den sozialen Medien, ein steigendes Interesse an den Medien aus der Szene und eine stärkere Beteiligung an einschlägigen Demonstrationen unterstreichen, dass die extreme Rechte in diesem neuen Gewand auf eine substanzielle Unterstützung zählen kann.

Rechtsextremismus in der Covid-19-Pandemie

Rechtsextreme Akteur*innen und ihre Narrative spielen aktuell eine entscheidende Rolle in der Mobilisierung und bei den häufigen Eskalationen der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Die zuletzt stark öffentlich diskutierten sogenannten „Spaziergänge“ gegen die Infektionsschutzmaßnahmen stellen für die extreme Rechte eine willkommene Gelegenheit dar, aus ihrer gesellschaftlichen Ächtung weiter herauszutreten – mehr als ihr dies in den Jahrzehnten zuvor gelang. Rechtsextreme Organisationen – ob AfD, III. Weg, „Freie Sachsen”, NPD oder „Die Rechte“ riefen ab dem Sommer 2020 regelmäßig zur Teilnahme an den entsprechenden Veranstaltungen auf oder beteiligten sich an deren Organisation. In den Demonstrationsaufrufen war dabei auch von einem „Sturm auf Berlin“ die Rede und von einem durchzuführenden „Sturz“ der Regierung.

Auf den Veranstaltungen ist die extreme Rechte sichtbar präsent, doch zumeist steuert sie diese nicht, sie übernimmt viel mehr eine koordinierende Rolle in der Mobilisierung. Das Ausmaß ihrer tatsächlichen Präsenz vor Ort ist dabei je nach Region unterschiedlich – im Osten Deutschlands ist es am stärksten. Dort sind langjährige rechtsextreme Aktivist*innen immer wieder auch an drastischen Eskalationen beteiligt, wie dem Durchbrechen von Polizeiblockaden oder an Aufmärschen im privaten Raum von Politiker*innen.

Die aktuellen Proteste zeigen deutlich, wovor Wissenschaft und Praktiker*innen der Prävention seit langem warnen: Verschwörungsglaube, Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und Chauvinismus sind in allen gesellschaftlichen Milieus in besorgniserregendem Ausmaß verbreitet und bieten rechtsextremen Akteur*innen und Ideologien ein starkes Einfallstor (Andreas Zick, Beate Küpper 2021). Das macht es für Rechtsextremist*innen leicht, an die Proteste anzuknüpfen. Eine starke Entfremdung der Protestierenden von Institutionen des politischen Systems, wie den etablierten Medien, den sogenannten Volksparteien, der Wissenschaft oder der Polizei, sowie fehlendes Vertrauen in öffentliche Einrichtungen und in die repräsentative Demokratie, Verschwörungsdenken und Radikalisierungen begünstigen dies beträchtlich. Dabei konnten extrem rechte Agitator*innen vor allem dort mit ihrer Strategie punkten, wo sie bestehende Entfremdungserfahrungen bestimmter Bevölkerungsgruppen mit ihrer Systemkritik aufgreifen und zuspitzen konnten. So ist ein rechtsoffenes, demokratiefeindliches Mischmilieu entstanden, welches auch in zukünftigen gesellschaftlichen Konflikten oder Krisen (z.B. im Rahmen der Klimakrise) mobilisierungsfähig sein wird.

Es braucht langfristige demokratische Antworten

Diese neuen Entwicklungen und andauernden Kontinuitäten im Rechtsextremismus erfordern langfristige demokratische Antworten. Praktiker*innen aus den Bereichen der Demokratieförderung, der zivilgesellschaftlichen Beratungs-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit verfügen hier über eine jahrelange Erfahrung und gebündelte Expertise. Lokale, niedrigschwellige und individuelle Angebote bieten schon jetzt Alternativen zu menschen- und demokratiefeindlichen Ideologien und Strukturen. Die Zivilgesellschaft bildet damit einen grundlegenden, wenn nicht den wichtigsten Baustein, um rechtsextremen Strukturen und Akteur*innen entgegenzutreten. Die Weiterentwicklung und Anpassung von Rechtsextremismusprävention auf politischer Ebene muss daher durch die Zivilgesellschaft entscheidend mitgestaltet und -getragen werden.

Den Maßnahmenplan umsetzen – mit der Zivilgesellschaft

Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention hat daher den im März 2020 eingesetzten Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus begrüßt. Wir unterstützen, dass im Maßnahmekatalog des Ausschusses eine solche Vielzahl an ressortübergreifenden Maßnahmen vorgeschlagen wurde. Insbesondere die „Weiterentwicklung und Anpassung“ sowie die anschließende beherzte Umsetzung müssen aus unserer Sicht für die neue Koalition Priorität haben. Um eine ernsthafte Beteiligung der vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Träger zu erreichen, müssen für die Weiterentwicklung und Umsetzung der Maßnahmen jedoch neue und wirkungsvollere Formate eingesetzt werden als bisher. Denn die sich immer dringlicher zeigenden Bedarfe der Demokratieförderung und der Prävention von nicht nur verfassungswidrigen, sondern menschen- und demokratiefeindlichen Entwicklungen stellen vorrangig zivilgesellschaftliche und gemeinnützige Aufgaben dar.

Akteur*innen der Zivilgesellschaft, die sich seit Jahrzehnten in der Rechtsextremismusprävention engagieren, wünschen sich von der Politik dabei vor allem eines: ein klares, nachhaltiges und belastbares Bekenntnis zur Dringlichkeit und Bedeutung ihrer Arbeit, und dies sowohl auf politischer als auch auf kommunikativer und auf gesetzgeberischer Ebene. Die Zivilgesellschaft leistet einen immens wichtigen Teil innerhalb von Demokratieförderung und Extremismusbekämpfung und dafür benötigt sie Rückendeckung, Sicherheit und Vertrauen von oberster Stelle.

Das Demokratiefördergesetz ermöglicht langfristiges Handeln der Zivilgesellschaft

Der Koalitionsvertrag benennt den Rechtsextremismus als größte Bedrohung der Demokratie. Nun muss dieser theoretischen Analyse auch ein deutliches politisches und gesetzgeberisches Zeichen folgen. Zentral muss dabei die Einführung eines Demokratiefördergesetzes sein, um das Potential des breiten zivilgesellschaftlichen Engagements zu nutzen und die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in ihrer Arbeit weiter zu stärken.

Aus Sicht der Praktiker*innen der Rechtsextremismusprävention ist entscheidend:

Strukturförderung

Die stetigen Veränderungen im Feld erfordern, dass modellhafte Projekte auch weiterhin innovative Methoden erproben können. Bewährte Ansätze und Träger benötigen hingegen eine strukturelle Förderung, um in der Breite wirksam zu werden. Dieses Verhältnis von struktureller und modellhafter Förderung muss zusammen mit den Trägern anhand ihrer Bedürfnisse, Erfahrungen und Erkenntnisse ausgestaltet werden.

Dynamisierung

Künftige Kostensteigerungen, sich verändernde Bedarfe und unvorhergesehene Anforderungen dürfen nicht zu einer Lähmung der Arbeit führen, sondern müssen mit einer bedarfsgerechten Erhöhung aufgefangen werden. Die Förderung muss sich daher künftig dynamisch entwickeln und mit den Trägern gemeinsam gestaltet werden.

Förderung lokaler und bundesweiter Angebote

Eine zukunftsfähige Förderstruktur muss die regionalen Strukturen von zivilgesellschaftlichen Präventions-, Beratungs- und Aufklärungsangeboten berücksichtigen. Ebenso müssen die bundesweiten Vernetzungsstrukturen dieser Angebote gefördert werden, um die hohe Qualität und den nötigen Austausch weiter zu gewährleisten.

Rechtsextremismusprävention breiter denken

Mit einer zukunftsfähigen und wirkungsvollen Förderstruktur ist eine Grundlage geschaffen, um demokratiefeindlichen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Darüber hinaus kommt es darauf an, die Rechtsextremismusprävention breiter zu denken:

Betroffenenschutz stärken

Rechte Bedrohungen und Angriffe sollen Angst verbreiten und einschüchtern. Der Schutz von Betroffenen rechtsextremer Gewalt und Bedrohung muss deswegen als grundlegender Teil der Rechtsextremismusprävention verstanden werden. Dies muss auch für diejenigen gelten, die sich für das demokratische Zusammenleben einsetzen und sich gegen menschenverachtende Einstellungen engagieren. Entsprechende Angebote für die Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt müssen daher weiter gestärkt und flächendeckend ausgebaut werden. Gleiches gilt für die Beratung, Begleitung und Professionalisierung für die Aktiven des demokratischen Gemeinwesens vor Ort.

Internationale digitale Subkulturen in ihrem Gefahrenpotential wahrnehmen

Sowohl im Bereich des Online-Gamings als auch unter den Messengerdiensten finden sich sehr dynamische Plattformen, die von rechtsextremen Akteur*innen genutzt werden. Beratungsstellen für Opfer von Hate Speech und Online-Hass müssen daher ausgebaut werden, ebenso wie Anlaufstellen in und außerhalb von Messengerdiensten und Gaming-Plattformen, um Beobachtungen über demokratiegefährdende Äußerungen, Handlungen und Radikalisierungsprozesse in den verschiedenen Portalen melden zu können. Zudem ist eine verbesserte Qualifizierung von Polizei und Justiz dringend erforderlich, um geltendes Recht im Bereich der Online-Hasskriminalität umzusetzen.

Behörden fortbilden und sensibilisieren

Wir begrüßen, dass sicherheitspolitische Versäumnisse in der Bekämpfung rechtsextremer Strukturen korrigiert werden sollen und der Repressionsdruck erhöht wird. Entscheidend ist, über den reinen Vollzug dieser Maßnahmen hinaus auch die Behördenkultur zu verändern. Die Sensibilisierung für Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus muss Bestandteil der Aus- und regelmäßigen Fortbildung aller Sicherheitsbehörden werden, um der Gefährdung des Rechtsstaats durch diese Phänomene angemessenen entgegen zu wirken. Auch die Ressorts der Innenpolitik und Verwaltung benötigen ein Bewusstsein für diskriminierende Handlungsstrukturen in ihrem Geschäftsbereich und müssen entsprechend geschult und begleitet werden.

Zivilgesellschaftliche Qualitätsentwicklung sicherstellen

Zivilgesellschaftliche Träger und Netzwerke der Prävention haben eine große Fach- und Praxisexpertise erreicht. Umso mehr besitzen sie heute das Potential – mit wissenschaftlicher Begleitung durch Universitäten – ein solides, verbandlich organisiertes Verfahren der Evaluierung und Qualitätsentwicklung aufzubauen, das evidenzbasiert ist und auf fachlich-akademischer Unabhängigkeit beruht. Statt ein „Bundesinstitut Qualitätssicherung” beim BMI einzurichten, fordern wir deshalb dazu auf, den zivilgesellschaftlichen Weg der letzten 20 Jahre fortzusetzen und die Netzwerke und Projekte der Rechtsextremismusprävention hierfür mit Ressourcen und einem entsprechenden Mandat auszustatten. Die Bildung eines Verbandes bzw. einer Berufsfachkammer für Praktizierende der Prävention könnte sich an den erprobten Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe orientieren.

Besorgniserregende Versicherheitlichung

Sozialpädagog*innen, politische Bildner*innen, religiöse Seelsorger*innen sowie Distanzierungs- und Ausstiegsberater*innen dürfen nicht weiterhin in sicherheitsbehördliche Funktionen eingebaut werden. „Früherkennung“ und „Gefährder“-Einschätzung sollten keinen Teil der zivilgesellschaftlichen Präventionsarbeit darstellen. Vielmehr sollten Veränderungsprozesse und die Persönlichkeitsentwicklung von Menschen in konflikthaften Lebenssituationen durch Präventionsangebote freiwillig und vertraulich unterstützt werden. Deshalb fordern wir dazu auf, die weitgehend intransparente Handlungszone der ‚Kooperationen mit den Sicherheitsbehörden‘ grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen (BAG RelEx, 2021). Mittelfristig ist auch anzuregen, gemeinsam mögliche Wege zu einem Zeugnisverweigerungsrecht für Praktizierende von präventiven Interventionen zu erwägen (Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht 2022).

Menschenrechtsorientierte politische Bildung

Neue Ansätze der menschenrechtsorientierten politischen Bildung müssen auch jenseits ihrer angestammten Adressat*innen-Gruppen ermöglicht werden. Sie sollen in effektiver Weise dem zunehmenden Vertrauensverlust gegenüber dem demokratischen Staat und der wachsenden gesellschaftlichen Polarisierung, Ungleichheit und Diskriminierung begegnen können. Hierfür sind auch innovative, geschützte Formate erforderlich, in denen der persönliche, vertrauliche Dialog zwischen stark unterschiedlichen Weltanschauungen erfolgen kann und schwierige Aushandlungen ermöglicht werden. Somit betreibt zeitgemäße politische Bildung auch pädagogische Intervention, wird aber von jeglicher sicherheitsbehördlichen Funktion freigestellt – und geht weit über Prävention hinaus. Ihrer Grundverpflichtung auf Demokratie und Menschenrechte wird sie dabei nie „neutral“ gegenüberstehen.

Das Positionspapier als PDF

Das Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention

Die fünf Organisationen des Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention, die Amadeu Antonio Stiftung, die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus (in Trägerschaft von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e. V.), Cultures Interactive e.V. mit seiner Fachstelle Rechtsextremismusprävention (fa:rp), Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e. V. und die LidiceHaus Jugendbildungsstätte bündeln ihre jahrelang gesammelten Fachkenntnisse, Kontakte und Partnerschaften und stärken dadurch gemeinsam die Rechtsextremismusprävention. Sie arbeiten mit unterschiedlichen Zielgruppen, mit Vereinen und Verbänden, kirchlichen, religiösen und zivilgesellschaftlichen Trägern sowie mit der Verwaltung, Polizei und Justiz.
Als gut vernetzte, zentrale Anlauf- und Beratungsstelle für alle, die sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzen oder davon betroffen sind, kennt das Kompetenznetzwerk die Verantwortung der gesellschaftlichen Kräfte in der Arbeit gegen rechtsextreme Einstellungen und Vereinnahmungen und hofft, dass zivilgesellschaftliche Expertise in der Zukunft verstärkt in politische Entscheidungen der Rechtsextremismusprävention eingebunden und strukturell gefördert wird.

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