Distanzierungstrainings für Jugendliche und ein Zentrum zur Radikalisierungsprävention
Radikalisierung findet nicht schlagartig statt, sondern ist ein Prozess, der von persönlichen Bedürfnissen, Neugier, Sinn- und Wirksamkeitssuche, dem Umfeld sowie Gelegenheitsstrukturen (z. B. jugendkulturell interessante rechtsextreme Cliquen am Ort) beeinflusst wird. Wenn Heranwachsende beginnen sich Rechtsextremismus zuzuwenden, wird das in vielen Fällen für die Außenwelt sichtbar. Durch abwertende Äußerungen, destruktiv-politische Kleidermarken und Symbole, dem Rückzug aus bestimmten Gruppen- und Freizeitkontexten, "neue Freunde" aus rechtsextremen Cliquen.
Bislang gab es keine gezielten Angebote für diese Zielgruppe, die in der Regel minderjährig und noch nicht straffällig geworden ist. Auch fehlt es an einer koordinierten Absprache von jenen Institutionen, denen Veränderungen auffallen, die auf eine Gefährdung im Bezug zu Radikalisierung hindeuten. Akteur*innen aus Jugendarbeit, Schulsozialarbeit, Familienhilfe, stationären Jugendeinrichtungen usw. agieren oft als Einzelkämpfer*innen ohne gezielten Auftrag und Ressourcen in der Prävention von Rechtsextremismus und anderen Formen der durch Hass und Menschenverachtung geprägten Einstellungen.
Reflexion von Ideologien, politischen Vorstellungen und der eigenen Lebenswirklichkeit
In einem frühen Stadium der Hinwendung zu Rechtsextremismus und Menschenverachtenden Einstellungen bestehen jedoch noch gute Chancen, Jugendliche anzusprechen. In einem durch Respekt und Vertrauen geprägten Raum erhalten sie die Möglichkeit, Ideologien, politische Vorstellungen, ihre eigene Lebenswirklichkeit und alltäglichen Interaktionsformen zu reflektieren und Alternativen des Selbstausdrucks, Sinnerlebens und der Persönlichkeitsentwicklung zu erarbeiten.
DisTanZ bildete zudem eine Schnittstelle zwischen Jugendlichen, Institutionen und persönlichem Bezugssystem der Jugendlichen. Dies stärkte die Handlungssicherheit aller Beteiligten und förderte einen gegenseitigen Umgang auf Augenhöhe.
DisTanZ-Trainings
Mit verschiedenen Fachleuten wurden DisTanZ-Trainings entwickelt, die sich zu einer Distanzierung von rechtsextremen und menschenverachtenden Haltungen und Milieus zu einem möglichst frühen Zeitpunkt eignen. Methodisches Merkmal der Trainings war eine von Respekt, Anerkennung und Hinterfragung getragene 'Kritische Zugewandtheit' und jugendkulturelle Beziehungsbildung. Maßnahmen der 'Frühen Distanzierung' wurden konzeptioniert und erprobt, wobei biographische und psychodynamische Einzel- und Gruppensettings sowie Elemente aus der Ausstiegshilfe, postklassischer politischer Bildung, jugendkultureller Ausdrucksarbeit, Mediengestaltung im Team, Antigewalt-Arbeit, Psychotherapie/Psychotraumatherapie, Mediationsverfahren und Theaterpädagogik zur Anwendung kamen.
Durchgeführt wurden Einzeltrainings mit jeweils zehn bis 15 Sitzungen à 90 Minuten und Gruppentrainings mit acht bis zwölf Teilnehmer*innen im Rahmen von drei bis sechs Modulen an insgesamt 15 Tagen. In den Trainings wurden auch genderspezifische Thematiken im Zusammenhang mit Radikalisierung bearbeitet.
DisTanZ-Zentrum
Für ein gelungenes Fall-Management der Prävention und frühen Distanzierung wurde in Kooperation mit dem Jugendamt Weimarer Land ein kommunales DisTanZ-Zentrum aufgebaut. Dieses Kompetenzforum ermöglichte unter Beteiligung relevanter Akteur*innen aus den Regelstrukturen eine übergreifende Fallarbeit mit gefährdeten Heranwachsenden und sollte so langfristig eine kompetente Begleitung von diesen vor Ort gewährleisten. Mit Hilfe dieses institutionsübergreifenden Ansatzes wurde so ein gemeinwesenbildendes Verfahren zur Radikalisierungsprävention etabliert, das Vorbildcharakter für andere Regionen in Deutschland hat.
Diese Form der Radikalisierungsprävention sah ebenfalls vor, dass Mitarbeiter*innen verschiedener pädagogischer Disziplinen des Gemeinwesens strategisch zum Themenspektrum „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus“ weitergebildet wurden. Dieser intensivierte Modus der Kooperation von Regelstruktur-Akteur*innen untereinander wurde durch den Austausch mit spezialisierten Expert*innen von außen ergänzt. In Form von Fachforen wurden sowohl bei der Entwicklung der DisTanZ-Trainings als auch dem Aufbau des DisTanZ-Forums Expert*innen aus Kommunalentwicklung, Kinder- und Jugendforschung, Gewaltforschung, politischer Bildung und weiteren relevanten Disziplinen eingebunden. Problembewusstsein, Informationsaustausch, personenbezogene Präventionsstrategie und Handlungsbegleitung vor Ort wurden so in neu systematisierter, zivilgesellschaftlicher und vernetzter Weise umgesetzt.
Projektinformationen
Projektzeitraum
2015 bis 2019